Fall Nr. 36

 

Aufmerksamkeit

Schlüsselsatz: Nun befahl ich ihr laut, zu mir zu kommen. Sie gehorchte, brach aber neben mir in einen Weinkrampf aus, der mehr als eine Stunde dauerte.
Stufe: Sekundarstufe I
Bewegungsfeld: Laufen, Springen, Werfen
Disziplin/Sportart: Stafette
Textsorte: Episode

Fallbeschreibung:

Die Mädchen der Klasse 1ab der Sekundarschule M. (6. Schuljahr) hatten nach der Mittagspause (13.40 Uhr) bei mir Sportunterricht. Unter den Schülerinnen ist auch Rahel, eine bewegungsbegabte Schülerin, die sich aber auch launisch verhalten kann.
Ich begann die Stunde mit einer intensiven Fangisform. Rahel kam zu mir und sagte: "Mein Bauch tut mir weh!" Ich fragte sie: "Wann und was hast du gegessen? Zudem ist die Fangisform zu Ende, wir machen einige Stretchingübungen, die nicht so intensiv sind. Schau mal, ob es Dir nachher besser geht!" Im Stretchingteil beobachtete ich Rahel mehrmals, konnte aber bei ihr kein Unwohlsein erkennen. Auch an der anschliessenden Stafette beteiligte sich Rahel aktiv. Der Beginn war jeweils in der Bauchlage, Füsse an der Wand, Hände auf dem Gesäss. Rahel hielt sich nicht an diese Ausgangsposition, wodurch sie sich einen Vorteil schuf. "Rahel, würdest du dich bitte an die Regeln halten, und die Füsse an die Wand legen", forderte ich Rahel auf. Rahel "löschte" es völlig ab, was alle an ihrem Gesichtsausdruck erkennen konnten. Ich forderte sie auf: "Rahel, komm bitte zu mir!" Nachdem ich sie auch ein zweites Mal bat, zu mir zu kommen, blieb sie mit einem Schmollmund am Boden liegen. Nun befahl ich ihr laut, zu mir zu kommen. Sie gehorchte, brach aber neben mir in einen Weinkrampf aus, der mehr als eine Stunde dauerte. Wenn Kolleginnen sie trösten wollten, brach sie wieder in lautes Schluchzen aus. Wir legten sie in die Garderobe und liessen sie zeitweise alleine. Manchmal blieb zum Trost auch eine Kameradin bei ihr.
Am Ende der Lektion versuchten Rahel und ich die Situation zu klären. Ich versuchte, ihr meine Wahrnehmung zu schildern. Sie konnte das noch nicht. Wir trafen die Verabredung, dass sie in Zukunft besser getraut, ihre Gefühle zu formulieren und ich besser nachfrage, wie es ihr geht. Bis jetzt hat sich ein ähnlicher Zwischenfall nicht mehr wiederholt. Unser Verhältnis ist momentan sehr entspannt.


Fallinterpretation:
Interpretation:
Ich habe in dieser Lektion Rahel und ihrem Wohlbefinden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Im Gegenteil; ich habe sie trotz ihren "Bauchschmerzen" noch getadelt. Das war zuviel für sie. Sie ist Einzelkind, lebt mit Mutter und deren Freund zusammen, über ihn hat sie sich schon mehrmals despektierlich geäussert. Zu ihrem 13. Geburstag erhielt Rahel eine Reise nach New York - mitten in Schulzeit. Ich glaube, sie braucht sehr viel Aufmerksamkeit.