Fall Nr. 74

 

Volleyballtraining

Schlüsselsatz: "(...) Dies war auch das Ziel der letzten Übung!"
Stufe: Sekundarstufe II
Bewegungsfeld: Spielen
Disziplin/Sportart: Volleyball
Inhalte präsentieren: Erklären
Mit Schüler*innen interagieren: Differenzieren und Individualisieren
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

(a) 11. Schuljahr, Gymnasium, 13 Schülerinnen. Nach einem intensiven Aufwärmen mit Luftballons wird an drei Stationen Volleyball trainiert. Die Aufgaben sind anspruchsvoll, werden aber von den meisten Schülerinnen gemeistert. Während des ganzen Trainings wird kaum gesprochen. Die Schülerinnen stellen weder Fragen noch machen sie irgendwelche Einwände. Der einzige der währdend der Lektion spricht ist der Lehrer. Nach dem letzten Wechsel wird die Klasse auf zwei Spielfelder (Minivolleyballfeld) verteilt.
(b) Der Lehrer erklärt die Aufgabe: Es soll 3 gegen 3, resp. 4 gegen 4 Volleyball gespielt werden. Als zusätzliche Erschwerung muss in jedem Team ein Ballon in der Luft gehalten werden. Nachdem das Spiel nur schleppend in Gang kommt, erlaubt der Lehrer den Ball mit den Händen zu fangen, "Ziel bleibt aber, dass der Ball nie den Boden berührt". Weil in einem Spiel die Anzahl der Spielerinnen nicht ausgeglichen ist, spielt der Lehrer dort selbst mit.
(c) Im Spiel 4 gegen 4 (wo auch der Lehrer mitspielt) entwickelt sich allmählich ein intensives Spiel. Anders im Spiel 3 gegen 3: Weil es zu schwierig ist, den Ballon zu jonglieren und gleichzeitig den Ball von den Gegnerinnen anzunehmen, stehen die 6 Spielerinnen ziemlich statisch im Feld. Die Schülerinnen sind so sehr mit dem Jonglieren der Ballone beschäftigt, dass sie dem Volleyball keine Aufmerksamkeit mehr schenken können.
(d) Die 4er Teams haben unterdessen wieder zu Volleygesten gewechselt, während die 3er Teams noch immer Mühe mit einfachem Fangen und Werfen bekunden. Der Lehrer stoppt das Spiel und bemerkt beiläufig zu den 3er Teams: "Leider war es mir nicht möglich bei euch zuzuschauen.". Abschliessend erklärt er die Zielsetzung des Spiels: "Die Idee war ja folgende: weil wir noch einen Ballon im Feld haben, müssen sich alle immer in Bewegung halten, damit ein Spiel zustande kommt. Anschliessend spielt ihr nun ohne Ballon, aber hält euch genau gleich in Bewegung, wie vorher. Wichtig ist, dass ihr euch nicht nur auf den Ball konzentriert, sondern auch sieht, was neben euch geschieht. Dies war auch das Ziel der letzten Übung!


Fallinterpretation:
Wir müssen davon ausgehen, dass die spezielle Atmosphäre die in diesem Unterricht herrscht nicht einmalig ist. Es ist zwar durchaus möglich, dass die Schülerinnen in der letzten Stunde eine Mathe - Prüfung hatten und deshalb so still die Stunde über sich ergehen lassen (a). Lassen wir dies mal ausser acht und gehen davon aus, dass der Unterricht meistens sehr lehrerkonzentriert abläuft.
Auf den ersten Blick verläuft die Stunde - ausgenommen von der letzten Übung - ohne Probleme. Die Schülerinnen meistern bis auf die letzte, alle geforderten Übungen (a). Dem Lehrer kann nicht vorgeworfen werden, dass die letzte Übung für die Schülerinnen zu schwer war. Nicht immer kann das Leistungsniveau der Schüler exakt vorausgesehen werden. Der Lehrer reagiert auch sofort, indem er die Aufgaben vereinfacht (b). Trotzdem entwickelt sich bei den 3er Teams kein eigentliches Spiel (c). Weil der Lehrer bei den anderen mitspielt, kann er dies nicht sehen (d).
Wie könnte diese Situation aber vermieden werden? Eine mögliche Erklärung wäre die unterschiedliche Gruppengrösse. Es ist einfacher zu viert einen Ballon in der Luft zu behalten, als nur zu dritt. Müssen also die Gruppengrössen verändert werden? Eine weitere Lösungsmöglichkeit wäre, dass der Lehrer selbst nicht mitspielt, damit er den Überblick behalten kann. Diese beiden Lösungsansätze sind sicher richtig und würden das Problem dieser Stunde lösen. Trotzdem glaube ich, dass das wirkliche Problem tiefer liegt. Der Lehrer weist mit dem Satz: "Dies war auch das Ziel der letzten Übung" unbewusst darauf hin. Warum erwähnt er das Ziel der Übung erst nachträglich? Da es sich nicht um eine Überraschung handelt, muss die Zielsetzung den Schülerinnen doch nicht vorenthalten werden. Diese Situation erinnert mich an ein Vereinstraining. Ziel ist nicht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sport, sondern ein drillmässiges Automatisieren von Bewegungen. Im Vereinstraining muss nicht über den Inhalt diskutiert werden. In einem Volleyballverein z. B ist es klar, dass Volleyball gespielt wird. Aber können diese Trainings einfach in die Schule übernommen werden? Die Automatisation von Bewegungen ist sicher ein wichtiger Bestandteil des Sportunterrichts. Trotzdem sollte der Unterricht nicht darüber hinausführen und die Schüler und Schülerinnen zu einer kritischen Auseindandersetzung mit dem Sport befähigen?
Hier setzt eine weitergehende Lösungsstrategie an. Die Schülerinnen sollen nicht einfach nachvollziehen, was ihnen der Lehrer vorgibt, sondern zum Mitdenken animiert werden. Wenn ihnen aber die Zielsetzung vorenthalten wird, so haben sie nicht einmal die Möglichkeit, aktiv in den Prozess eingreifen zu können.
Durch die ausformulierte Zielsetzung, hätten die Schülerinnen (c) bemerkt, dass das, was sie im Moment spielen nicht Sinn der Übung ist. Sie hätten so einerseits die Möglichkeit gehabt, den Lehrer nach einer Alternative zu fragen oder andererseits selbst Veränderungen machen können. Durch Mitdenken der Schülerinnen über das was im Moment im Unterricht passiert, könnte eine solche "tote" Zeit vermieden werden.