Fall Nr. 476

 

Meine allererste Sportlektion

Stufe: Sekundarstufe I
Bewegungsfeld: Gymnastik, Darstellen, Tanzen
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

Als ich meine erste Anfrage für eine Stellvertretung bekam, studierte ich noch im vierten Bachelorsemester. Ob ich jemals Lehrer werden würde, war zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Es handelte sich um eine Doppellektion Sport mit 21 motivierten Knaben aus einer 3. Klasse auf Sekundarstufe I. Als Aufgabe für die Stunde wurde mir Ringturnen zugeteilt. Nebenbei sollte ein Rundlauf im Tischtennis durchgeführt werden. Ohne weitere Fragen zu stellen, ging ich mit einigen Ideen im Kopf nach Hause.

Der Tag traf ein und ich machte mich mit einer klar strukturierten Unterrichtseinheit auf den Weg zum Schulhaus. 30 Minuten zu früh, stand ich vor verschlossenen Türen. In die Turnhalle konnte ich bereits, die Lehrergarderoben waren jedoch geschlossen. So zog ich mich auf dem WC um, glücklich darüber, dass ich zu früh war und kein Schüler etwas davon bemerkte. Ich überbrückte die Zeit bis zum Start der Lektion mit dem Erkundigen der Halle. Alle Schränke waren geschlossen. Der Schweiss sammelte sich langsam immer mehr auf meiner Stirn, denn nun musste ich auch noch auf die Lehrperson in der nebenanliegenden Halle warten, damit sie die Schränke für die Tischtennisschläger öffnen konnte.

Das Läuten erklang, die Jungen und die nebenan turnenden Mädchen stürmten herein und mein Puls stieg. Souverän meisterte ich den zehnminütigen Einstieg in die Lektion bis vereinzelt Mädchen in meiner Turnhalle standen. "Wir glauben unsere Sportlehrerin ist krank, sie kommt sonst nie zu spät." Instinktiv riet ich den Mädchen ein „Pärli-Fangis“ zu starten, um bereits aufgewärmt zu sein, wenn die Lehrerin dann kommt. "Sie kommt bestimmt noch", waren meine hoffenden Worte, denn ich brauchte doch noch ihren Schlüssel. Sie kam nicht.

Ich hatte also knapp 40 Schülerinnen und Schüler in meiner Halle stehen und war für einen Moment lang überfordert. Ich bat alle, sich in den Kreis zu setzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. "Machen wir ein Klassenturnen? Spielen wir Fussball? Machen wir Völki?", fragten die Jugendlichen. Ich schilderte ihnen die Situation und sagte ihnen, dass wir weder Fussball noch Völki spielen könnten, da ich keinen Schlüssel hätte.

Für mich gab es nur eine Lösung in diesem Moment, die ohne zusätzliches Material durchgeführt werden konnte. Ich hatte eine Musik-CD bei mir und gab den Auftrag, gemischte sowie mittelgrosse Gruppen zu bilden, ein auf der CD verfügbares Lied auszuwählen und einen Tanz dazu zu lernen. Auch wenn sich bei den Jungen die Anfangsbegeisterung in Grenzen hielt, verkrochen sich die vier Gruppen in ihre Ecken und gestalteten einen Tanz, während ich die vier Songs abwechselnd laufen liess. Am Ende wurde vorgetanzt und wild applaudiert.

Nach der Doppelstunde kam ein Mädchen zu mir und fragte mich, ob ich wieder kommen würde, denn dies sei die tollste Sportlektion gewesen, die sie je hatte. Dank dieser Aussage ging ich trotz der vielen Pannen mit einem tollen Gefühl und vielen ersten Eindrücken nach Hause.